Wenn es um das Geschäft mit der Krankheit Krebs geht, sind Schweizer Unternehmen Weltspitze und verdienen riesige Summen: Allein der Basler Chemiekonzern Roche hat 2006 über 15 Milliarden Franken mit Krebsmedikamenten umgesetzt. Wie viel Geld er damit verdient hat, gibt er nicht bekannt. Der Konzerngewinn betrug letztes Jahr 9,2 Milliarden Franken.
Doch bei der Krebsvorsorge steht die Schweiz im inter-
nationalen Vergleich im Abseits. Trotz politischer Vorstösse gibt es zum Beispiel bis heute kein nationales Krebsregister. Gesamtschweizerisch werden nur wenig Daten über die Krankheit gesammelt. Das Bundesamt für Statistik (BFS) registriert die Anzahl Todesfälle der häufigsten Krebsarten wie Brust-, Lungen-, Dickdarm-, Prostata- und Gebärmutterhalskrebs sowie Geschlecht und Alter der Verstorbenen.
Auf kantonaler Ebene liegen teilweise Statistiken vor. Immerhin 14 Kantone erheben detaillierte Daten zu den Krebskranken und führen eigene Krebsregister. Das BFS übernimmt im kommenden Jahr die Auswertung dieser Register.
Krebskranke Kinder: Heute viel höhere Überlebenschancen
Die Zentralschweiz ist ein weisser Fleck auf dieser Landkarte (siehe Grafik im pdf). Die Berner Kantonsregierung hatte einen entsprechenden Vorstoss aus finanziellen Gründen abgelehnt. Der schwarze Peter wurde an den Bund weitergereicht: Ein nationales Register wäre die günstigere und bessere Lösung, liess die Berner Regierung damals verlauten.
Dass nationale Krebsregister sehr viel bewirken können, zeigen Schweden, Finnland, Norwegen oder die USA: Die Überlebenschancen bei Krebs sind in diesen Ländern am höchsten, wie Forscher im letzten August im Medizinjournal «The Lancet Oncology» berichteten. In diesen Ländern werden seit Jahren viele Daten von krebskranken Menschen gesammelt und in nationalen Registern ausgewertet.
Immerhin gibt es auch in der Schweiz ein erfolgreiches Beispiel: das 1976 gegründete Kinderkrebsregister. Starben vor 40 Jahren noch die meisten krebskranken Kinder, so überleben heute etwa 80 Prozent. «Hauptverantwortlich für diesen Erfolg ist die nationale und internationale Zusammenarbeit aller Spezialisten für Krebserkrankungen bei Kindern», sagt Claudia Kühni. Die Ärztin leitet das Kinderkrebsregister am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern zusammen mit den pädiatrischen Onkologen.
Für den renommierten Tessiner Krebsarzt Franco Cavalli wäre ein nicht nur auf Kinder beschränktes nationales Krebsregister «absolut notwendig». Ein nationales Register würde den Krebsspezialisten eine unabhängige Qualitätskontrolle ihrer Arbeit garantieren. Cavalli: «Wir könnten damit zum Beispiel die Wirksamkeit einer Therapie überprüfen.» Auch für die Früherkennung und Prävention von Krebs wäre eine nationale Datensammlung wichtig. «Mit einem solchen Register könnte man einfach lernen, wie Krebs entsteht und wie man sich am besten verhält, damit weniger Menschen daran erkranken», sagt der Tessiner Krebsspezialist. Und: «Es würden alle in der Schweiz davon profitieren.»
Politische Vorstösse blieben erfolglos
In seiner Zeit als Nationalrat hatte Cavalli sich bereits für ein nationales Krebsregister eingesetzt. Sein parlamentarischer Vorstoss blieb allerdings ohne Erfolg: «Es fehlt am politischen Willen von Bundesrat Pascal Couchepin», fasst der SP-Politiker seine Erfahrung auf politischer Ebene zusammen.
Couchepins Sprecher Jean-Marc Crevoisier sagt, der Vorstoss sei behandelt worden, als Couchepin noch nicht dem Innendepartement vorstand. Endgültig begraben wurde das politische Begehren aber von Couchepin.
Parlamentarier will Bund zum Handeln bringen
Was der Departementschef nicht will, kümmert auch das ihm unterstellte Bundesamt für Gesundheit (BAG) nicht. «Aus Datenschutzgründen wäre für ein nationales Register eine neue gesetzliche Grundlage notwendig», sagt BAG-Mediensprecherin Simone Eigenmann Schüttel.
Über diese Ausrede kann Beda Harb, stellvertretender Datenschutzbeauftragter des Kantons Zürich, nur lächeln. Der Kanton Zürich führt ein eigenes Krebsregister. «Die gesetzlichen Grundlagen sind klar. Die Personendaten müssen einfach anonymisiert sein. Aus den Auswertungen dürfen keine Rückschlüsse auf bestimmte Personen möglich sein.»
Mit einem nationalen Register werden sich Couchepin und das BAG dennoch beschäftigen müssen: Kürzlich hat der Aargauer Nationalrat Geri Müller eine entsprechende Motion eingereicht.
Lebenswichtige Daten
Krebsregister nehmen nicht nur auf, welches Geschlecht die erkrankte Person hat, wie alt sie ist, wann und in welchem Stadium die Krankheit entdeckt wurde und wie lange sie unter welcher Krebskrankheit leidet oder wie die Therapie verläuft. Es wird auch erhoben, wann die Person wo gelebt hat und wo sie heute lebt. Werden die Daten ausgewertet, lassen sich verschiedenste Rückschlüsse ziehen.
Beispiel Südtessin: Bis vor 30 Jahren hat es dort laut Krebsspezialist Franco Cavalli kaum Lungenkrebs gegeben. Seit die Autobahn durch diese Region führe, habe das Südtessin eine der höchsten Lungenkrebsraten. Dies wurde mit dem Tessiner Krebsregister nachgewiesen.
Eine Studie der Vereinigung Schweizer Krebsregister hat gezeigt: Leitende Angestellte leben mit einem höheren Risiko, an schwarzem Hautkrebs, Hoden- oder Prostatakrebs zu erkranken. Arbeiter hingegen erkranken gegenüber Kaderangestellten doppelt so häufig an Rachen-, Speiseröhren-, Lungen- oder Kehlkopfkrebs.